Beiträge von Cho Chang

    Ich mochte Vitalis Grinsen. Ich glaube, er war beeindruckt davon, dass ich selbst kochte und keinen Zauberstab verwendete und dass ich gern Fleisch aß. Wenn er lächelte, bildeten sich kleine Grübchen auf seinen Wangen, und seine Augen begannen zu funkeln. Ich erwischte mich dabei, wie ich selbst grinsen musste und die Wärme genoss, die sich in meinem Bauch ausbreitete.


    Vitali schaltete Musik an und fragte, ob das okay war. "Ja, das ist prima", sagte ich. "Ich mag Jazz, aber Blues und LoFi Beat mag ich noch lieber. Die aktuellen Charts sind irgendwie nicht so meins. Wahrscheinlich werde ich langsam zu alt dafür", sagte ich grinsend. "Rock ist bei mir nur selten dabei, aber ich mag unsere traditionelle chinesische Musik ganz gern." Die Lieder, die durch das Haus schallten, waren entspannt, und ich konnte nicht verhindern, dass mein Fuß leicht im Takt wippte.


    Dann fragte Vitali mich nach meinem Urlaub, und ich versteifte mich ein wenig. Er konnte nicht wissen, dass mein Chef mir die freien Tage verordnet hatte, nachdem Vitali aus dem Krankenhaus abgehauen war. Ich hatte versagt, und mein Chef hatte mich das spüren lassen. Was für eine Ironie, dass ich gerade der Person in meinem sogenannten Urlaub begegnete, die das ganze Chaos erst ausgelöst hatte. Aber konnte ich sagen, dass ich es bereute? Nicht wirklich.


    Ich versuchte, mein Gesicht wieder unter Kontrolle zu bekommen und zu lächeln. "Na ja, bisher habe ich noch nicht viel mehr gemacht, als mir den Fuß zu verstauchen und unfreiwillig baden zu gehen."


    Das Gemüse wurde langsam gar. Ich wollte es nicht zu lange im Wok lassen, damit es nicht matschig wurde. Die Scampi sahen wunderbar glasig aus und das Pastrami roch köstlich. Also stellte ich den Herd aus und rührte noch ein wenig weiter. Dann griff ich nach dem Topf mit dem Reis, um das Wasser abzukippen. Doch leider hatte Vitali im gleichen Moment dieselbe Idee. Wir stießen ineinander. Dabei kam ich mit dem Arm an den heißen Topf. Der Schmerz fuhr blitzartig über meine Haut, und ich zog den Arm zurück, doch dabei blieb ich am Topf hängen und beförderte ihn über die Kante. Der gesamte kochend heiße Inhalt ergoss sich über Vitali.

    Der Wok wanderte auf den Herd, und ich gab etwas Öl hinein. "Hilfst du mir beim Schneiden?", fragte ich Vitali, der gerade Bretter und Messer hervorholte. In aller Eintracht standen wir nebeneinander an der Küchentheke und schnippelten Karotten, Salat, Zwiebeln, Pilze und noch einiges anderes. Nacheinander landeten die Zutaten im Wok und verbreiteten einen angenehmen Geruch in der Küche. Ich mochte es, mit der Hand zu kochen und den Zauberstab mal in der Tasche zu lassen. Es beruhigte mich, und ich erfreute mich jedes Mal daran, wenn ich den ersten Biss aß und es ausgezeichnet schmeckte, was ich selbst gekocht hatte.


    Ich war erstaunt, als Vitali sagte, dass er eigentlich nicht viel Fleisch aß. "Musst du als Sportler nicht auf eine gewisse Eiweißzufuhr achten? Zwecks Muskelaufbau und so?" Ich schnitt ein paar Paprika in Streifen. "Ich mag Fleisch tatsächlich ganz gern", sagte ich dann. "Meistens ist es aber eher eine Beilage, und ich achte darauf, dass es nachhaltig produziert ist. Magst du ein paar Scampi in der Pfanne haben oder lieber nur Reis dazu?"


    Es war angenehm, so mit Vitali zusammen zu sein. Ich fühlte mich in seiner Gesellschaft wohl und traute mich mittlerweile einfach, ihm Fragen zu stellen. Es war verrückt, dass ich gestern noch sauer gewesen war, weil er mir einen "Lasten"besen angedreht hatte. Sogar die Kusssituation von vorhin war irgendwie in den Hintergrund gerückt. In diesem Moment war ich einfach nur zufrieden.

    Vitali führte mich in eine kleine, aber moderne Küche mit Kochinsel und unzähligen Schränken. Von den Zutaten, die er aufgezählt hatte, ließ sich auf jeden Fall etwas zaubern, und er sagte, dass ich mich ruhig umsehen könnte. Zögerlich öffnete ich ein paar der Schränke und war erstaunt über die Ordnung, die darin herrschte. Für einen Mann und vor allem einen Sportler, der wahrscheinlich mehr im Ausland als zu Hause war, war das Haus insgesamt erstaunlich sauber. Unwillkürlich fragte ich mich, ob er das allein schaffte oder ob er Hilfe hatte. Kaufte er selbst diese frischen Zutaten ein, die in Hülle und Fülle vorhanden waren, oder gab es jemanden, der auf seine Ernährung achtete?


    "Allergien habe ich keine, zumindest nicht, dass ich wüsste", antwortete ich auf seine Frage. "Das einzige, was ich wirklich nicht mag, ist Tintenfisch. Erstens sehen sie zum Fürchten aus, zweitens schmecken sie einfach nur schleimig." Ich schüttelte mich bei dem Gedanken daran. Dann sah ich Vitali unsicher an. Hatte ich jetzt zu viel geplappert? Vielleicht war Tintenfisch Vitalis Leibgericht, und jetzt hatte ich es endgültig versaut…


    Ich begann wieder damit, mich mit den Vorräten zu beschäftigen und nahm langsam eine Zutat nach der anderen heraus, immer mit Blick auf Vitali, ob es wirklich okay war, dass ich mich hier einfach bediente. "Was hältst du von einer Gemüsepfanne? Pastrami und Scampi können wir da auch mit reinmachen. Hast du einen Wok?"

    Geträumt… GETRÄUMT?? Er dachte, er hätte geträumt, dass ich ihn zurückküsse? Wie geht denn sowas? Vielleicht war ich doch eine schlechte Küsserin. Unbewusst legte ich mir die Finger an die Lippen. Oh man, wenn er es so furchtbar fand, dann würde das wohl nicht wieder passieren. Zumindest hatte Vitali den Anstand, rot anzulaufen und peinlich berührt auszusehen. Mir war das Ganze ebenfalls unendlich unangenehm.


    Während Vitali heiße Schokolade machte, setzte ich mich auf die Couch vor den Kamin. Das Feuer wärmte mich durch und vertrieb sogar etwas von der inneren Kälte. Vitali stellte die dampfende Tasse vor mir auf den Tisch. Der Duft von Kakao und Sahne stieg mir sofort in die Nase und ließ mich wohlig aufatmen. Es schwammen sogar Schokodrops in der Tasse. Und da war noch etwas anderes, eine ganz feine Note von… was? Zimt? Nein. Karamell? Ich nahm die Tasse in die Hand und nippte kurz daran. Der Kakao war kochendheiß, aber schmeckte himmlisch. „Danke“, sagte ich und meinte es wirklich ernst.


    Als er mir dann auch noch anbot, zusammen zu kochen und zwar ohne Magie, war ich vollkommen milde gestimmt. Ich mochte es, Essen mit der Hand zuzubereiten, auch wenn mir oft die Zeit fehlte. Die Rezepte meiner Großeltern waren unschlagbar. „Gern“, antwortete ich also. „Ich würde gern etwas gemeinsam kochen.“ Mittlerweile konnte ich mein Lächeln nicht mehr verbergen. „Was hast du denn so an Zutaten da?“

    Als ich wieder in das Haus eintrat, schlug mir direkt die Wärme entgegen. Wie schön es wäre, sich einfach vor den Kamin zu setzen und den Abend dort zu verbringen. Wenn ich an mein leeres, unpersönliches Hotelzimmer dachte, legte sich direkt die Dunkelheit über mein Herz.


    Auf meine Frage, warum er mich geküsst hatte, sagte er, er hatte mich nicht verletzen wollen. Bedeutete das, dass er mich aus Mitleid geküsst hatte? Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen schießen wollten, doch ich kämpfte sie mit aller Macht zurück. Doch dann rettete Vitali die Situation. Er meinte, er dachte, er wäre zu weitgegangen. Also hatte er es gewollt und war sich nur nicht sicher gewesen. "Aber …", stotterte ich. "Ich … habe dich zurück geküsst. Hast du … das nicht gemerkt?" Oh mein Gott, war ich etwa so eine schlechte Küsserin?


    Vitali bot mir an zu bleiben. Oh man, wie sehr ich das wollte. Aber sagte er das, weil er ein schlechtes Gewissen hatte oder weil er es tatsächlich wollte? Die Tür zum Bad stand offen, und ich konnte meine Klamotten sehen. Ich müsste sie mir nur schnappen und könnte verschwinden. Doch wahrscheinlich waren sie ebenfalls noch klitschnass, und es würde die Hölle werden, in der nassen Kleidung bis zum Hotel zu laufen. Apparieren konnte ich nicht. Dafür war es noch zu früh am Abend und noch zu viele Muggel unterwegs, die mich sehen könnten.


    Als Vitali auch noch von Essen und Trinken sprach, war mein Widerstand komplett gebrochen, und ich knickte ein. Wenn ich herausfinden wollte, was das zwischen uns war, dann musste ich über meinen Schatten springen. Unsicher sah ich Vitali an. "Eine heiße Schokolade wäre wirklich toll."

    Mit verschränkten Armen stand ich vor ihm, als er die Tür öffnete. Er entschuldigte sich und stammelte dann, dass er mich nicht überfordern wollte. Stimmte das? Oder hatte er einen Rückzieher gemacht und versuchte sich jetzt herauszureden? Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Ich kannte Vitali zu wenig, um in seinem Gesicht lesen zu können oder seine Bewegungen zu deuten. Ich wollte gern glauben, dass er in meinem Sinn handeln wollte, aber er musste doch gespürt haben, dass ich den Kuss wollte! Ich blickte ihn finster an. "Was hast du dir denn dann dabei gedacht?"


    Er sah so verzweifelt aus, dass ich mich ein wenig entspannte. Vitali und ich hatten es von Anfang an schwer gehabt. Unsere ersten Begegnungen waren die reinste Katastrophe gewesen. Hier an der Küste hatte sich das fortgesetzt, und wahrscheinlich würde das auch immer so bleiben. Wollte ich das? Konnte ich das aushalten? Hatten wir irgendeine Art von Zukunft? Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, würde ich das gerne herausfinden. Doch im Moment wusste ich nicht, wie ich vorgehen sollte. Und ob er es genauso sah wie ich.


    Die salzige Luft hier draußen roch noch nach dem Regen, der inzwischen weitergezogen war. Es war dunkel, nur die Lichter der Veranda spendeten ein orangenes Licht. Ich glaubte, die Salzkristalle in der Luft förmlich auf meiner Haut spüren zu können. Obwohl sich das echt gut anfühlte, war es kalt. Meine Haare waren noch nass, und die Kälte kroch mir über die Kopfhaut in den Körper. Ich zitterte leicht. Meine verschränkten Arme lösten sich, nur damit sich meine Hände auf meine Oberarme legen konnten, um meinen Körper zu wärmen. Doch das half nichts. Wahrscheinlich trug meine innere Kälte ihren Teil bei. "Kann ich bitte einfach meine Sachen haben?", fragte ich.

    Ich fühlte mich ein bisschen weniger schlecht, als Vitali sagte, wir wären nicht umsonst im Haus Ravenclaw in Hogwarts gewesen. Er hatte natürlich vollkommen Recht. Ich hätte ahnen müssen, dass er mit meinen mehr oder weniger philosophischen Gedanken mitgehen konnte. Vielleicht sogar genauso dachte.


    Doch als er mich in seinen Armen hielt, war mein Kopf wie leer gefegt. Keine klugen Sprüche mehr, keine funktionierenden Gehirnwindungen und Nervenstränge. Nur noch Herzklopfen. Vitali wollte nach meinem Fuß fragen, doch der interessierte mich in diesem Moment nicht im Geringsten. Alles, was ich wahrnahm, war Vitali. Er schien genauso nervös zu sein wie ich. Seine Augen wanderten immer zwischen meinen Augen und meinen Lippen hin und her. Ohne es zu merken hatte ich meine Hände an seine Brust gelegt. Zitterte er etwa? Oder war ich das? Ich konnte nicht unterscheiden, welcher Herzschlag zu wem gehörte, doch ich spürte, dass sich unsere Herzen ein Wettrennen lieferten. Was taten wir hier? Vor einer Weile hätte ich ihn noch umbringen können für die Situation, in die er mich gebracht hatte. Und nun war ich ihm so nahe, dass ich seinen Atem auf meinen Lippen spüren konnte. Und es gefiel mir. Ich wollte das hier.


    Dann – endlich – überwand Vitali den letzten Abstand und küsste mich. Ganz vorsichtig und leicht. Genauso vorsichtig erwiderte ich den Kuss. Hitze schoss über meine Haut, als ich die Augen schloss, doch bevor wir den Kuss vertiefen konnten, zog Vitali sich schon zurück und gab zu, dass das nicht richtig war.


    „Oh ähm… naja, also…“, stammelte ich und löste mich von ihm. Was meinte er mit nicht richtig? Für mich hatte es sich ziemlich richtig angefühlt. Mein ganzer Körper kribbelte. Was wollte er mir damit sagen? Dass er mehr wollte? Aber Vitali schien das anders zu sehen. Als Fehler. Es war ein Fehler gewesen, mich zu küssen. Auf einmal war mir unglaublich kalt. Seine Worte erzeugten Millionen kleine Risse in meinem Herzen. Ich hatte gedacht, dass da etwas zwischen uns war. Zwar nur etwas ganz kleines, aber etwas, das die Chance hatte zu wachsen. Doch anscheinend hatte ich mir das eingebildet. Tränen schossen mir in die Augen, mit aller Macht kämpfte ich gegen sie an. „Dann sollte ich wohl besser gehen.“ Panisch sah ich mich um, entdeckte meine Tasche neben der Couch, schnappte sie mir und steuerte auf die Haustür zu. Kurz prüfte ich, ob mein Zauberstab noch in der Tasche war und war erleichtert, als ich ihn an der Seite entdeckte. Ich eilte nach draußen und hörte die Tür hinter mir zu fallen.


    Doch als ich die Stufen der Veranda hinunterlief, traf mich eine Erkenntnis. Ich trug immer noch Vitalis Klamotten. Und meine hingen in seinem Bad. „Verdammt.“

    Nur ganz zögerlich gab Vitali schließlich zu, dass er nicht gern in der Dunkelheit schlief. Mir war bewusst, dass ihm das unangenehm war. Er als großer, stolzer Bulgare dachte wahrscheinlich, dass er vor gar nichts Angst haben sollte. Für mich machte ihn das allerdings nur noch sympathischer und nahbarer. So langsam wurde er für mich greifbar, ich konnte ein bisschen hinter die Kulissen blicken. Und was ich sah, ließ mein Herz schneller schlagen.


    "Ich finde das überhaupt nicht dumm", sagte ich vorsichtig. "Weißt du, eigentlich fürchten wir uns nicht vor der Dunkelheit, sondern vor dem, was wir in ihr vermuten. Wir haben im Grunde auch keine Angst vorm Fliegen sondern vorm Fallen." Erst als ich es ausgesprochen hatte, merkte ich, dass ich Vitali eine philosophische Predigt hielt. "Ähm, entschuldige", sagte ich. "Du hältst mich jetzt wahrscheinlich für komplett bescheuert."


    Super gemacht, Cho, schalt ich mich. Du hast es mal wieder versaut. Auf einmal wollte ich mich von ihm wegdrehen, damit er nicht sah, wie ich rot wurde. Vitali kniete immer noch vor mir, doch als ich ruckartig aufstand, erhob er sich ebenfalls. Dabei stieß ich mit den Beiden gegen die Couch und verlor das Gleichgewicht. Ich taumelte nach vorne, und bevor ich wusste, was geschah, hatte Vitali mich aufgefangen. Seine starken Hände hielten meine Oberarme fest und gaben mir Halt. Ich sah nach oben, während er sich hinunterbeugte. Plötzlich waren unsere Gesichte nur noch Zentimeter voneinander entfernt. Ich hielt die Luft an.

    Vitali hatte meinen Gesichtsausdruck wohl durchschaut, denn er fragte nach, ob ich mit meinem ersten Quidditch-Erlebnis etwas Gutes verband. "Ja, das tue ich", antwortete ich. "Ich habe dort jemand ganz Besonderen kennengelernt." Der Gedanke an Cedric schmerzte immer noch, und das würde er wohl auch immer tun. Trotzdem wollte ich ihn nicht vergessen, denn das würde bedeuten Cedric zu vergessen. Trotz allem, was passiert war, war ich unendlich froh, Cedric kennengelernt zu haben.


    Mehr sagte ich vorerst nicht. Der kleine Fleck in meinem Herzen, der immer Cedric gehören würde, stach. Ich legte mir die Hand an die Brust, um den Schmerz wegzudrücken, doch es funktionierte nur teilweise. Der Schmerz wurde stumpf, aber er war immer noch da. Vitali sah mich so intensiv an. Seine Augen bohrten sich förmlich in meine. Wenn er nachfragte, würde ich ihm wahrscheinlich alles erzählen. Mein Herz ausschütten. Ich wusste nicht warum, aber ich vertraute ihm. Mehrmals hätte ich er mich einfach stehenlassen und sich um seinen Kram kümmern können. Doch das hatte er nicht getan. Er hatte sich jedes Mal dazu entschieden, mir zu helfen.


    Noch einmal donnerte es, doch inzwischen bekam ich es gar nicht mehr mit. Alles was ich wahrnahm, war Vitalis Präsenz. Mit seiner dunklen Stimme erzählte er, dass auch er Angst hatte. Dass das etwas ganz normales war und man sich nicht schämen musste. Konnte das wirklich sein? Konnte sich dieser Mann vor mir, der mir so stark und mutig vorkam, vor irgendetwas fürchten? "Wovor hast du Angst?", fragte ich leise.

    Vitali sagte, dass Heimat kein Ort wäre, sondern ein Gefühl, das wir mit Personen und Erinnerungen in Verbindung bringen. Das brachte mich zum Nachdenken. Er hatte absolut recht. Ich hatte dieses Haus immer mit meinen Großeltern verbunden, mit den Gerüchen und den Erlebnissen. Es hätte überall auf der Welt sein können, Hauptsache meine Eltern und Großeltern wären da gewesen. Vielleicht störte es mich deshalb nicht, dass sich das Haus so verändert hatte. Zumal es wirklich gute Veränderungen waren.


    Dann zuckte der erste Blitz über den Himmel und drängte meine Erinnerungen in den Hintergrund. Mein Kopf war wie leergefegt. Unter meiner Hand fühlte ich mein wild klopfendes Herz. Plötzlich kniete Vitali vor mir und redete beruhigend auf mich ein. Ich hatte nicht gemerkt, wie er aufgestanden war, doch auf einmal war er ganz nah bei mir und hielt meine Hand. Er sprach mich mit meinem Vornamen an, was er vorher noch nie getan hatte. Mit seiner Stimme hörte mein Name sich so exotisch an. Irgendwie mochte ich das. Er versprach mir, dass er aufpasste und mir nichts passieren konnte.


    Dann fragte er nach meinem ersten Quidditchspiel. Der Themenwechsel war merkwürdig, doch mir war klar, dass er versuchte mich abzulenken. "Ähm…", stotterte ich. Seine Hand war warm, und seine Berührung sandte kleine Blitzschläge über meine Haut. Ich versuchte mich zu konzentrieren. Quidditch… Mein erstes Spiel…


    Vitali und ich waren zwar beide in Ravenclaw gewesen, doch während unserer Schulzeit hatten wir nichts miteinander zu tun gehabt. Er war älter als ich, und ich hatte mich zu sehr für Jungs außerhalb meines Hauses interessiert.


    "Ich war seit dem zweiten Schuljahr im Team", begann ich dann zu erzählen. "Wir haben gegen Hufflepuff gespielt. Ich habe den Schnatz gefangen, aber wir haben trotzdem verloren." Dann fiel mir noch etwas ein. Bei diesem Spiel hatte ich Cedric kennengelernt. Er war Sucher im gegnerischen Team. Ich glaube, ich bin ihm dort auch das erste Mal aufgefallen, weil ich ihm den Schnatz vor der Nase weggefangen hatte. Doch ich war kleiner, wendiger und dadurch auch schneller gewesen. Es hatte noch ein paar Jahre gedauert, bevor wir uns näher gekommen waren, doch dieses Spiel war der Grundstein gewesen.


    Diese Erinnerung beruhigte mich. Mein Herz schlug wieder normal, und mein Kopf wurde klarer. Das Gewitter tobte immer noch, war jedoch schnell weitergezogen. Donner grollte draußen, aber viel leiser, als noch vor ein paar Minuten. Vitali kniete immer noch vor mir, und jetzt nahm ich ihn wieder richtig wahr. Das Feuer des Kamins spiegelte sich in seinen Augen und brachte sie zum Leuchten. Unwillkürlich wanderte mein Blick über sein Gesicht, die scharfen Wangenknochen und schließlich zu seinen Lippen. Er war mir so nah.


    "Danke", flüsterte ich. "Für\'s Ablenken."

    Als ich aus dem Bad kam, roch es nach warmer Milch und Kuchenteig. Es war seltsam, das vertraute Haus mit diesen fremden Gerüchen zu erleben. Früher bei meinen Großeltern hatte es immer nach Tee und frischen Kräutern geduftet. Allerdings ich konnte nicht sagen, dass die veränderte Umgebung mir nicht gefiel.


    Gerade als ich darüber nachdachte, fragte Vitali mich nach meinen Eindrücken. "Es hat sich so ziemlich alles verändert", sagte ich. "Durch die Vergrößerungszauber und die neuen Möbel ist nichts mehr so, wie es früher war. Ich glaube, das Badezimmer war früher mein Zimmer. Und dort hinten haben meine Großeltern geschlafen. Meine Eltern haben meistens im Wohnzimmer übernachtet, weil es nicht viel Platz gab. Und die Küche war auch kleiner. Ehrlicherweise war es heimeliger. Aber ich kann nicht behaupten, dass früher alles besser war", fügte ich mit einem Schmunzeln an. Und es stimmte. Auch wenn ich mich hier immer wohlgefühlt hatte, war es bemerkenswert, was Vitali aus dem Haus gemacht hatte. Die Einrichtung war gemütlich und die Dekoration geschmackvoll. Unwillkürlich fragte ich mich, ob er das alles allein gemacht oder ob er Hilfe gehabt hatte. War vielleicht doch eine Frau im Spiel? Ich wischte den Gedanken schnell wieder fort. Das ging mich überhaupt nichts an. Es war seine Entscheidung, mit wem er seine Zeit verbachte und von wem er sein Haus einrichten ließ. Ich dumme Gans hatte damit nichts zu tun.


    "Mir geht es viel besser, danke", antwortete ich auf seine nächste Frage. "Die Dusche hat gut getan, jetzt fühle ich mich wieder wie ein Mensch." Ich ließ mich von ihm zum Kamin führen, in dem ein gemütliches Feuer prasselte. Als ich mich setzte, sah ich, dass er Kakao und Kekse für uns bereitgestellt hatte und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Er war wirklich ein guter Gastgeber, das musste ich ihm lassen.


    In diesem Moment zuckte der erste Blitz über den Himmel und ein dröhnender Donnerschlag ertönte. Mein ganzer Körper zuckte zusammen. Ich hatte nicht gemerkt, dass sich der Himmel verdunkelt hatte, zu sehr war ich auf Vitali fokussiert gewesen. Ich hasste Gewitter. Mir war absolut klar, dass die Angst davor irrational war, aber waren das nicht alle Ängste? Vor allem als ehemalige Ravenclaw und Frau der Wissenschaft dürfte ich mich vor diesem Naturschauspiel nicht fürchten. Doch ich tat es, und ich konnte es nicht ändern. Vitali hingegen schien das Gewitter vollkommen kalt zu lassen. Ich presste meine Hand auf meine Brust, um mein wild pochendes Herz vor dem Zerspringen zu schützen, da knallte es draußen ein zweites Mal, und ich stieß ein Wimmern aus.

    Ich wartete ab, was die junge Frau nun sagen wollte. Hinter ihrer hübschen Stirn arbeitete es ordentlich und die Gedanken mussten in etwa mit der Geschwindigkeit eines Schnatzes in ihrem Kopf umher. Und offenbar galten nicht immer nur Frauen als Buch mit sieben Siegeln. Es traf wohl auch auf uns Männer zu, beziehungsweise auf mich. Hm, ja ich konnte durchaus kompliziert sein. Als ich dann aber etwas lockerer wurde, grinste sie auch ein wenig. Sie schwankte in dem, was sie nun tun sollte. "Gern, kein Problem. Ich habe es ja auch angeboten, oder?" Ich zuckte ein wenig mit der Schulter. "Es wäre nicht gerade nett sie da draußen nass wie diese Robbe zu lassen. Damit wär ich im doppelten Sinne über Ihren Ausfall schuldig." Und wenn es dafür ordentlich Ärger geben würde, dann hätte sie allen Grund dafür, mir die Ohren langziehen. Sie sprach eben noch davon, dass sie am liebsten mal asiatisch kochen wollen würde. Im Geiste ging ich kurz meine Vorräte durch, dann aber riss ich mich zusammen. Scheiße, was tat ich hier? Mein Herzschlag beschleunigte sich und mir wurde etwas warm. Ich schluckte hart, atmete ein oder zweimal tief durch. Scheiße, was tat ich hier? Aber, Moment, Scheiße war doch nicht das Wort, das ich mit Cho Chang in Verbindung bringen wollte. Sie war ja eine angenehme Gesellschaft. Ich erwiderte kurz ihr Lächeln. Während sie duschte, ging ich in die Küche und bereitete etwas Wärmendes vor:


    Kakao und Kekse waren wohl irgendwie das Richtige. Denn grade zog es sich mächtig zu und schwere, dunkle Gewitterwolken zogen schnell herauf. Das typische wechselhafte Wetter für den September in dieser Gegend. Mit einem Wink des Zauberstabs zündete ich das Feuer im Kamin an, welches sofort munter los prasselte und das Wohnzimmer behaglicher machte. Die Temperatur fiel da draußen schneller als gedacht, sodass wir kaum auf der Terrasse sitzen würden. Es dauerte nur etwa fünfzehn Minuten, bis Cho Chang wieder mit noch nassen, aber durchgekämmten Haaren aus dem Badezimmer zurückkehrte. Aus irgendeinem Grund stand ihr der Look, aber ich hütete mich, dies laut zu sagen. Dass sie eitel war und stolz auf die Haare, hatte ich schon festgestellt und ich vermutete, würde ich nun ein Kompliment machen, würde es nicht besonders gut ankommen. In der Zeit hatte ich auch wieder meine Zeichensachen relativ nachlässig auf meinen Schreibtisch im Wohnzimmer gelegt. "Hat sich hier viel verändert im Vergleich zu früher?", fragte ich dann unvermittelt heraus und hoffte, dass ich ein ungezwungenes Gespräch beginnen konnte. Ich vermutete, dass sie sich schon ein wenig den Ort angesehen hatte. Ich kannte die Gegend erst, seit dem ich hier hergezogen wurde. "Wie geht es Ihnen jetzt?", fragte ich in einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen. Ich führte vor den Kamin, und kaum dass wir saßen, donnerte es los und ein Blitz zuckte. "Uff, da haben wir aber Glück gehabt. Spätestens jetzt wäre ich nicht gern da draußen."

    Mit etwas zu viel Schwung zog Vitali mich auf die Beine. Ich fand nicht sofort Halt auf dem durchweichten Sand und flog förmlich gegen seine Brust. Man oh man, der Kerl war wirklich steinhart. Die Berührung mit seinem Körper sorgte dafür, dass wieder dieses nervöse Kribbeln in meinem Magen zu spüren war. Dann führte er mich den Strand hinauf zu seinem Haus.


    Als ich am Tag zuvor hier gewesen war, hatte ich nichts von dem Inneren des Hauses gesehen. Nun führte Vitali mich auf direktem Weg hinein. Wir kamen direkt in ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer, von dem mehrere Türen abgingen. Vitali deutete auf eine Tür auf der linken Seite, hinter der ein Bad lag.


    Während ich mich in dem gefliesten Raum umsah, verschwand Vitali hinter einer anderen Tür. Das Bad fühlte sich warm an. Flauschige Handtücher lagen bereit, genauso wie verschiedene Sorten Shampoo und Duschbad. Was das wohl zu bedeuten hatte? Erwartete Vitali etwa Damenbesuch, und ich war ein Eindringling? Zumindest schien Vitali auf alles vorbereitet zu sein.


    Doch bevor ich meine Gedanken vertiefen konnte, stand Vitali hinter mir und reichte mir einen seiner Pullover und eine Jogginghose, die mir ziemlich sicher passen würde. Wieso hatte Vitali Klamotten, die einer Frau passten? Hatte er hier regelmäßig Gesellschaft? In seinem gemütlichen Haus am See, auf dessen Terrasse sie gemeinsam den Sonnenuntergang beobachten konnten?


    Vitali blickte mich seltsam an, als ich zögerte, die Klamotten anzunehmen. Doch ich gab mir einen Ruck und nahm den Pullover und die Hose entgegen. "Danke", murmelte ich.


    Als Vitali schon fast wieder gehen wollte, schob ich hinterher: "Ist es wirklich okay, dass ich hier bin? Ich will keine Umstände machen."

    Ich kicherte, als Vitali von seinen derzeit liebsten Speisen sprach. Diese waren so unterschiedlich, dass ich kein Muster erkennen konnte. Aber ich mochte, wie locker er war, wie er plauderte und wie er in seinen Erklärungen aufging.


    Dann fragte er mich nach meinen eigenen Vorlieben. "Ich liebe die asiatische Küche",sagte ich. "Aber nicht das, was man in diesen klischeehaften Restaurants vorgesetzt bekommt." Bei der Vorstellung schüttelte ich mich. "Dieser widerliche Reis und dieses matschige Gemüse ist kein Vergleich zu dem, was in Asien wirklich gegessen wird. Frische Garnelen mit Ingwer, duftender Jasminreis, gebratene Shiitake-Pilze, Bambus und eine selbstgemachte Sojasauce, die nicht von dieser Welt ist." Nur bei dem Gedanken lief mir das Wasser im Mund zusammen, und ich dachte an die Zeit zurück, als meine Großeltern in dem kleinen Häuschen hinter mir gekocht hatten und der Duft bis auf die Terrasse geweht war. Wir hatten manchmal sogar das ganze Essen in einen Picknickkorb gepackt und hier am Strand mit edlen Elfenbeinstäbchen gegessen. Ich lächelte ungeniert und machte ein lautes "Mmmhhh"-Geräusch.


    Vitali verriet mir, dass er gern kochte, aber genauso gern in Restaurants essen ging. Dass er dabei erkannt werden könnte, lag auf der Hand. Einerseits genoss er es, andererseits wollte er auch gern mal seine Ruhe haben. Ich konnte mir das Berühmtsein und Erkanntwerden zwar nicht vorstellen, glaubte aber trotzdem zu wissen, was er meinte. Und dass er über das Essen gern andere Kulturen kennenlernte, machte ihn noch ein bisschen sympathischer. Bevor ich mich stoppen konnte, sprach ich meinen ersten Gedanken laut aus. "Wir können gern mal asiatisch kochen, wenn Sie diese Kultur interessiert", sagte ich. "Früher gab es hier ganz in der Nähe einen kleinen asiatischen Laden, der wirklich gute Produkte verkauft hat. Vielleicht existiert der ja noch." Erst dann wurde mir bewusst, was ich da von mir gegeben hatte, und ich geriet ins Schleudern. "Ähm… natürlich n-nur… wenn Sie wollen", stammelte ich und sah schnell weg, damit er nicht sah, wie mir das Blut ins Gesicht schoss.


    Genau diesen Moment wählte Bella, die Robbe, um mich auf Vitalis Schoß zu bugsieren. Doch dieser intensive Moment war so schnell wieder vorbei, wie er gekommen war. Kurz bevor ich mich ruckartig zurückgezogen hatte, hatte Vitali seinen Kopf näher zu mir bewegt. War das Absicht gewesen? Hatte er mich etwa küssen wollen? Nein, das war nicht möglich. Er mochte mich doch nicht mal, oder? Zumindest nicht auf diese Art… Oh man, meine Gedanken rasten schon wieder und zwar in die vollkommen falsche Richtung. Das war nicht gut… das war überhaupt nicht gut.


    Glücklicherweise unterbrach Vitali mein Gedankenkarussell. Er sprang auf und bot mir an, in sein Haus zu kommen, um zu trocknen und mich nicht zu erkälten. Ein fürchterliches Déjà vu machte sich in meinem Kopf breit, doch ich hatte keine andere Wahl. Die Sonne war schon fast verschwunden, es würde nur kühler und windiger werden. Bis zum Hotel hätte ich mir garantiert etwas weggeholt. Ich war mehr als froh, dass er mich einlud, doch gleichzeitig hatte ich Angst davor, was passieren könnte.


    Trotzdem blieb mir nichts anderes übrig. Ich stand auf und half Vitali, die Decke zusammenzulegen und seine Zeichenutensilien einzusammeln, dann machten wir uns gemeinsam auf den Weg den Strand hinauf. "Danke", sagte ich leise im Gehen. "Ich weiß das wirklich zu schätzen."

    Es mir gefiel mir, dass Vitali ins Plaudern geriet und mir ein bisschen was über sich erzählte. Mir war schon klar gewesen, dass er nicht zu den leichtesten Patienten zählte. Er hasste Krankenhäuser, war ungeduldig und mochte nicht, wie die Presse Sportler idealisierte. All das hatte ich mir schon irgendwie denken können. Er war der bodenständige Typ, der einfach Quidditch spielen und nicht über die Konsequenzen nachdenken wollte. Er sagte selbst, dass er nicht perfekt war, was ihn noch sympathischer machte. Ich mochte seine Einstellung und überlegte nicht zum ersten Mal, wie ich es schaffen konnte, bei einem seiner Spiele dabei zu sein.


    Was ich nicht gedacht hätte, war, dass Essen eine seiner Schwächen sein sollte. Er sah so aus, als würde er streng auf seine Ernährung achten und keine Kalorie zu viel essen wollen. Aber anscheinend war Vitali gutem Essen nicht abgeneigt und trainierte die Kalorien beim Schwimmen wieder ab. "Essen?", fragte ich. "Was steht denn ganz oben auf der Speisekarte? Und was machen Sie lieber: selbst kochen oder Essen gehen?" Ich stellte mir vor, wie es wäre, mit Vitali in einem Restaurant zu sitzen, Wein zu trinken und angeregte Gespräche zu führen. Doch im nächsten Moment verbannte ich diese Gedanken aus meinem Kopf. Die hatten dort nichts zu suchen. Wie war ich überhaupt darauf gekommen? Vollkommener Blödsinn.


    Vitali ermutigte mich immer noch, meinen Urlaub zu genießen, vielleicht sogar etwas über die Geschichte dieses Ortes herauszufinden, egal ob es die Zauberer- oder die Muggelwelt betraf. Keine schlechte Idee eigentlich. Als meine Großeltern noch hier gewohnt hatten, hatten sie mir immer Geschichten erzählt, manchmal romantische, manchmal spannende und manchmal sogar gruselige. Es hielt mich nichts davon ab, herauszufinden, wie viel Wahrheit in ihnen steckte. Und wer weiß, was ich dabei entdecken konnte? "Wissen Sie was?" Ich grinste Vitali an. "Vielleicht mache ich das tatsächlich. Es ist ja nicht so, als hätte ich unheimlich viel zu tun."


    Er sprach liebevoll über die Robbe, die schon fast so etwas wie sein Haustier war. Bella hieß sie also. Das passte sehr gut zu ihr. Sie war wirklich schön. Ihre Haut glänzte, ihre Augen leuchteten und die Flossen sahen kräftig aus. Laut Vitali konnte sie noch nicht alt sein, da sie alleine gelernt hatte zu jagen und sich um sich selbst zu kümmern.


    Nachdem sie mich vollkommen durchnässt hatte, drückte sie mir einen feuchten Schmatzer ins Gesicht und kletterte wieder von mir herunter. Ich lachte laut auf, während ich mir das Wasser von den Wangen wischte. Mein Wollpullover und meine Leggings waren klitschnass, sogar meine Haare tropften. "Hätte ich das gewusst, hätte ich mir das duschen gespart", sagte ich immer noch lachend. Doch Bella war noch nicht fertig mit mir. Bevor sie wieder ins Meer verschwand, schlug sie einen Haken und schob mich dabei von der Seite an. Ich landete an Vitalis Schulter und stützte mich ungeschickt an ihm ab. Sofort spürte ich die Wärme, die von ihm ausging. Mein Herz begann wild zu pochen, und mein Kopf war plötzlich vollkommen leer. Unsicher blickte ich in sein Gesicht. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert, aber ich konnte ihn nicht deuten. Mir war allzu deutlich bewusst, wie nah ich ihm in diesem Moment war.


    In der nächsten Sekunde sprang der Motor in meinem Hirn wieder an. Mit fahrigen Bewegungen entfernte ich mich von ihm und rutschte von ihm weg. "Ähm… Entschuldigung… Das… Das war keine Absicht", stammelte ich. Die Wärme seines Körpers war verschwunden, und ich spürte meine nasse Kleidung umso deutlicher. Der kühle Wind und die Feuchtigkeit meines Pullovers ließen mich zittern.

    Vitalis Grinsen brachte mein Herz dazu, einen Schlag auszusetzen. Er war wirklich attraktiv, doch ich würde den Teufel tun und ihm dies zugestehen. Wer so im öffentlichen Leben stand wie er, hatte definitiv gelernt, im richtigen Moment zu lächeln, um das zu bekommen, was er wollte. Ich musste vorsichtig sein und durfte mich nicht einlullen lassen. "Nun, bisher hatte ich keine Probleme mit dem Besen", sagte ich und grinste zurück. "Mit dem Besitzer dafür umso mehr."


    Ich erinnerte mich an unsere Begegnungen im St. Mungo\'s, an seine Verletzlichkeit und an die Sorgen, die ich mir um ihn gemacht hatte. Ich war mir sicher, dass er es gehasst hatte, auf andere Menschen angewiesen zu sein. Irgendwie konnte ich verstehen, dass er abgehauen war, vor allem, wenn die Aussicht auf ihn wartete, die ich gerade mit ihm teilen durfte. Trotzdem war es nicht in Ordnung gewesen, denn er hatte keinen Gedanken daran verschwendet, was er mir damit angetan hatte. Ich hatte zwar keine Standpauke vom Chef bekommen, dafür aber Zwangsurlaub.


    So wie er mich ansah, konnte Vitali nicht glauben, dass ich noch nie Urlaub gemacht hatte. Wenn man bedachte, dass ich noch gar nicht so lange überhaupt erst im Arbeitsleben war, war das allerdings gar nicht so verwunderlich. "Ja, ich versuche es", sagte ich, als er mir riet, die Tage umso mehr zu genießen. "Ich schätze, ich bin noch nicht ganz angekommen."


    Mittlerweile war die Robbe immer näher gekommen. Am Anfang war sie noch scheu gewesen, doch nun wurde sie zutraulicher. Sie schnüffelte in meine Richtung, und ich streckte vorsichtig meine Hand aus, damit sie meinen Geruch wahrnehmen konnte. Bei meiner Bewegung zuckte sie ein paar Zentimeter zurück, näherte sich jedoch gleich wieder an.


    Ich konnte ein Lachen nicht unterdrücken, als Vitali mir seine Schwimmkünste und die Ereignisse des gestrigen Tages in Erinnerung rief. "Schwimmen scheint ein Ausgleich für Sie zu sein oder?", fragte ich. "Die Fröhlichkeit habe ich Ihnen wohl verdorben." Es war mir immer noch alles unfassbar peinlich, aber zumindest schien er es locker zu nehmen. Seine Worte von gestern und seine Anspielung auf den Lastenbesen hatte ich ebenfalls nicht vergessen, aber ich war nicht der nachtragende Typ, obwohl mir die Erinnerung einen kleinen Stich versetzte.


    Vitali schlug vor, dass ich die Robbe streicheln könnte, also versuchte ich es. Ich kraulte sie am Kopf, welchen sie genüsslich gegen meine Hand presste. "Gibt es denn in der Nähe einen Tierpark oder einen Zoo, in dem sie gelebt haben könnte?", fragte ich auf Vitalis Vermutung hin. "Sie scheint Ihnen tatsächlich sehr verbunden zu sein." Die Robbe wackelte entspannt mit ihren Flossen. Dann plötzlich tat sie einen Satz, sprang nach vorne und landete mitten auf meinen Schoss, wodurch sie mich von oben bis unten durchnässte.

    „Ähm… bisher hat sich der Besen benommen“, sagte ich unsicher. „Neigt er denn dazu zu randalieren?“ Mir war bewusst, dass Besen gern ein Eigenleben entwickelten, aber mir war nicht klar gewesen, dass ich einen Unruhestifter im Hotelzimmer hatte. Der Flug zum Hotel war ruhig gewesen, daher hatte ich mir keine weiteren Gedanken gemacht.


    Die Robbe tobte derweil im Wasser herum, sprang aus den Wellen heraus und tauchte immer wieder unter. Dann war sie eine Weile verschwunden, und ich dachte schon, sie hätte sich aus dem Staub gemacht. Doch plötzlich schoss sie wieder aus dem Meer heraus und kam direkt auf den Strand zu. In ihrem Maul hatte sie einen Fisch, den sie nun genüsslich auf dem feuchten Sand verspeiste. Dabei saß sie ganz nah bei Vitali. Anscheinend hatte sie gesehen, dass Vitali mit mir sprach und sich entschieden, dass ich keine Gefahr darstellte.


    Vitali begann, seine Utensilien zu verstauen und das begonnene Bild einzupacken. „Oh, Sie müssen meinetwegen nicht aufhören. Ich möchte Sie nicht stören“, sagte ich schnell und wollte schon fast wieder aufstehen. Doch dann fragte Vitali mich nach meinem Fuß und meinem Urlaub. Ich zögerte. Wollte er etwa meine Gesellschaft? Konnte das wirklich sein? Nach unserer gestrigen Begegnung konnte ich das eigentlich nicht glauben.


    „Dem Fuß geht es besser“, antwortete ich dann. Zum Beweis streckte ich mein Bein aus und bewegte den Knöchel ein wenig hin und her. Durch den festen Verband ging das sogar schmerzfrei. „Der Urlaub… naja… Es fühlt sich irgendwie komisch an, nicht im St. Mungo’s zu sein. Seit meinem Abschluss in Hogwarts war ich nirgendwo anders“, erzählte ich. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich zu entspannen.“ Ich konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken. Wieder kam mir der Tag gestern in den Sinn, und ich gab mir alle Mühe nicht schon wieder rot zu werden.


    „Was ist mit Ihnen?“, fragte ich, um abzulenken. „Verbringen Sie Ihre freie Zeit öfter hier?“

    Es war etwa 18 Uhr abends. Ich hatte es in meinem Hotelzimmer nicht mehr ausgehalten und mich spontan für einen Spaziergang entschieden. Meinem Fuß ging es schon viel besser. Ich hatte ihn viel hochgelagert und gekühlt, was wahre Wunder bewirkt hatte. Nun hatte ich wieder einen straffen Verband angelegt, damit die Gelenke gut gestützt wurden und ich nicht Gefahr lief, noch einmal umzuknicken. Dann konnte ich es vergessen, wieder arbeiten zu gehen und würde nach dem Urlaub direkt eine Krankmeldung absetzen müssen. Das galt es unter allen Umständen zu verhindern.


    Ich tauschte meine kurzen Klamotten gegen eine schwarze Leggings und einen beigefarbenen Wollpullover. Dann zog ich die Turnschuhe an, in die mein Fuß auch mit Verband hineinpasste. Ballerinas wären zu instabil gewesen und mit Flip Flops wollte ich auch nicht los. Meinen Zauberstab steckte ich in den Bund meiner Leggings, aber sonst wollte ich nichts weiter mitnehmen. Ich sah in die Ecke meines Zimmers, in der Vitalis Besen stand. Den würde ich ihm morgen vorbeibringen müssen. Ich wollte nicht, dass er dachte, ich würde den Besen behalten wollen.


    Ein roter Himmel hatte sich über Plymouth gelegt. Die Sonne ging direkt über dem Meer unter und warf warme Farben über das Wasser. Meine Schritte führten mich automatisch hinunter zum Strand, wo ich das Schauspiel besser beobachten konnte. Ich war froh, mir einen Pullover angezogen zu haben. Solange die Sonne da war, war es noch warm, aber sobald sie verschwand, würde es bestimmt kühl werden. Die Wollfasern des Oberteils würden dann ihre Wunder wirken.


    Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen in den weichen Sand. Meine Turnschuhe hatte ich angelassen, aus Angst mit dem verletzten Fuß wieder umzuknicken. Konzentriert hatte ich den Kopf gesenkt und schaute zu Boden, damit ich auch jede Unebenheit erkennen konnte. Als ich den Strand entlangging, spürte ich, wie die Anspannung der letzten Tage langsam von mir abfiel. Es waren chaotische Tage gewesen, vor allem im St. Mungo’s. Aber auch hier in Plymouth, wo ich mich eigentlich ausruhen sollte, hatte ich bisher noch keine Ruhe gefunden. Hier war ich dem Menschen begegnet, den ich am wenigsten sehen wollte. Der mir den ganzen Urlaubsschlamassel überhaupt erst eingebrockt hatte. Und dann hatte ich mich vor ihm noch komplett blamiert, und zur Krönung war mir von ihm noch der Lastenbesen angedreht worden. Lastenbesen, also wirklich!


    Ich merkte, wie schon wieder die Wut in mir hochkochen wollte und zwang mich, mich zu beruhigen. Ich atmete ein paar Mal tief durch und hob dann stolz den Kopf an, damit ich meine Umgebung in mich aufnehmen und mich positiven Gedanken zuwenden konnte.


    Dann blieb ich abrupt stehen. Das musste Einbildung sein, ich wurde so langsam wahnsinnig. Mit der Hand schirmte ich meine Augen vor der Sonne ab. Nun konnte ich besser sehen, aber die Einbildung verschwand nicht. Dort vorn am Meer saß tatsächlich Vitali auf einer Picknickdecke und mit einem Zeichenblock in der Hand. Er streichelte gerade eine ziemlich niedliche Robbe, die ihm komplett zu vertrauen schien. Ich überlegte ernsthaft, ob ich einfach wieder umkehren sollte, nachdem unsere Begegnung am vergangenen Tag so schrecklich geendet hatte.


    Unentschlossen drehte ich mich ein paar Mal zu ihm hin und dann wieder von ihm weg, doch schlussendlich beschloss ich, zu ihm zu gehen. Was mich dazu trieb, konnte ich nicht sagen. Die Robbe bemerkte mich als erstes und verschwand im Meer. Als ich fast direkt hinter ihm stand, warf ich einen Schatten auf seinen Zeichenblock. Er drehte sich zu mir um und begrüßte mich freundlich. Es wirkte ein wenig gezwungen. Wahrscheinlich erinnerte er sich auch noch zu gut an unsere gestrige Begegnung. Doch er gab sich sichtlich Mühe, also entschied ich mich, es ihm gleich zu tun.


    "Hallo, Mr. Vulkanov", sagte ich. "Ich kann es nur gutheißen, wenn heute alles an seinem Platz bleibt." Erst jetzt bemerkte ich, dass er bereits etwas gezeichnet hatte. Er hatte bereits das Meer und Segelschiff angedeutet. Ich kannte mich mit Kunst nicht besonders gut aus, aber Vitali schien wirklich Talent zu haben.


    Er bot mir an, mich zu ihm zu setzen. Wieder war ich unsicher, was ich tun sollte. Immer wenn wir aufeinandertrafen, brach eine mittelschwere Katastrophe aus. Ich wusste nicht, ob ich das an diesem Tag vertragen konnte. Aber was sollte schon passieren, wenn wir einfach nebeneinandersaßen? Also gab ich mir einen Ruck und ließ mich neben ihn auf die Decke fallen, natürlich mit gebührendem Abstand.


    "Ihr Besen steht noch in meinem Hotelzimmer. Ich wusste nicht, dass ich Sie heute Abend treffen würde, sonst hätte ich ihn mitgebracht", sagte ich.

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